In D Greenig vo de Keenig springt ein Eintrag von 1976 sehr stark ins Auge:
Ein neuer Verdächtiger für die Ruesser-Ermittlungen! Nun verlief die Ruesser-Recherche also plötzlich zweigleisig.
(Hinweis: Die ebenfalls sehr spannende Recherche zum Verdächtigen Nr. 1 Hans Häfelfinger befindet sich in einem separaten Artikel.)
Via BMG konnten zwei Nachfahren von Arnold "Noldi" Ringli ermittelt werden, welche heute beide noch in dieser Fasnachtsclique aktiv mitwirken. Noldis Urgrossneffe Reto Ringli konnte uns das Foto einer Notiz liefern, welche ihm sein Grossvater Ernst Heinrich Ringli (Neffe des Noldi Ringli) 1965 in einer Ausgabe des Ruessers hinterlassen hatte:
Gestorben in Bogotá, Kolumbien - dies konnte keine zufällige Parallele sein - wandert doch der Held der Novelle am Schluss nach Lateinamerika aus.
Ein weiteres Gespräch mit Retos Vater Ruedi Ringli, Noldis Grossneffe, der Noldis Schwester Juliette Ringli noch persönlich kannte, bestätigte uns dann vollends:
D' Juliette hett immer gseit, är heig e Gschleiff gha mit ere Serviertochter, wo-n-er nochhär nid griegt hett und denn ischer eines Tages eifach nach Kolumbie verschwunde.
Und dernooch, wenn eine unglaublig guet drummlet hett an dr Fasnacht, hänn si immer gseit: Dr Ruesser isch wider do!
Um die Sache mit dem "Ende in Kolumbien" faktisch wasserdicht zu machen, haben wir Christoph Manasse, Leiter des Plan-Archivs (Teil des Staatsarchivs Basel-Stadt) und Aktuar der ARI-Clique, zugezogen, der uns bestätigte:
Arnold Karl Ringli wurde am 4.4.1890 als Sohn von Maria Anna Ringli-Wittmer (1849-21.12.1922) und Heinrich Ringli (1850-22.11.1912) geboren. 1921 wanderte er nach Paris aus. Er blieb zeitlebens ledig und verstarb am 11.5.1958 in Bogota.
Verwendete Quellen:
- PD-REG 14a 12-3: Bürgerkontrolle (1895-1920), Nr. 24164
- PD-REG 14a 12-4: Bürgerkontrolle (1920-1974), Nr. 24164
- PD-REG 14a 8-3: Niederlassungskontrolle Schweizer (1877-1892), Nr. 7543
- PD-REG 14a 8-5: Niederlassungskontrolle Schweizer (1892-1936), Nr. 7543
Eine beinahe ironische Situation ist, dass Ruedi und sein Vater Ernst Heinrich Ringli, welcher selbst kein Fasnächtler war, nur durch Zufall überhaupt von der Existenz dieser Novelle über ihren Vorfahren erfahren hatten.
Mir sin dött am Fasnachtsmändig us de Ferie zruggkoh, wüll's gsaicht hett. Und sin hei und, wie me 's domols amme so gmacht hett, alli vore Radio ghoggt. Und denn verzellt dött eine vo dere Novälle und denn seit dr Vatter: Hey, dasch dr Noldi! Die verzelle vom Noldi!
Dabei kann es sich aber fast nicht um die in D Greenig vo de Keenig erwähnte Hörbuchfassung des Ruessers mit Ruedi Walter gehandelt haben, denn zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung, nämlich 1976, wäre Ruedi Ringli bereits über 30 Jahre alt gewesen.
Viel plausibler ist, dass Ruedi und seine Familie um 1959, also nur gerade 2 Jahre nach dem Erscheinen der Novelle, die Hörspielversion eben dieser Novelle gehört hatten. Diese hatte das damalige Schweizer Radio DRS unter der Rubrik „Land und Leute“ mit der Crème de la Crème der Basler Schaupielerszene zur Aufführung gebracht und in drei Sendungen veröffentlicht (1959, '60 und '68).
Die Hörbuchaufnahme zum Ruesser mit der Stimme des damals bis über die Schweizer Grenzen hinaus bekannten Schauspielers und Kabarettisten Ruedi Walter war 1976 von der Sans Gêne Clique (*1922) in Zusammenarbeit mit Hans Guldenmann entstanden. Sie war beim Preistrommeln desselben Jahres, wie oben erwähnt, den Mitwirkenden als "Bhaltis" auf Musik-Kassette überreicht worden.
Und just an diesem Preistrommeln ist auch von einem 1. Ehrenpreis des Noldi Ringli von 1912 die Rede, welchen die Sans Gêne dort stolz präsentiert hatten. Einen Preis, den Noldi als 22-jähriger namentlich für die Clique BMG errungen haben dürfte, wenn man Ruedi Ringlis Worten folgt:
Är isch Gründigsmitlig vo dr BMG (*1907) gsi ... und nochhhär ischr bi de Alte Stainlemer (*1912) gsi. Und bi dene unde im Käller hängt no e Fotti vo ihm, wo me ka go aluege.
Und wer war ebenfalls bei den Alten Stainlemer? Man ahnt es: Bolo. Und zwar so ziemlich von Anfang an. Lediglich 6 Jahre nach deren Gründung wurde er als Aktivmitglied aufgenommen, wie eines der ersten Protokollbücher einer GV der alten Stainlemer von 1918 verrät:
In diesem Protokoll findet sogar noch Ernst Julius Ringli, Noldis Bruder, seine Erwähnung, als es darum geht, nach den stillen Kriegsjahren wieder etwas Pfeffer in die Cliquenaktivitäten zu bringen und vorallem zu erreichen, dass die Cliquen wieder in den Strassen spielen durften (was während dem 1. Weltkrieg bis und mit 1919 verboten war):
Karl Gehrig ist nicht für das fleissige Üben. Ernst Ringli tritt dagegen energisch für das jeweilige Mitmachen an dem Monstre-Trommelkonzert ein, das verschaffe uns Ansehen.
Und mitgemacht wurde am "Drummeli" 1918, und wie!
Zum Tod des "Tambourmaître par excellence" Paul «Bolle» Leder schrieb Bolo damals einem Nachruf, in welchem er als Einstieg vom Monster Trommelkonzert 1918 berichtete. Bolle Leder und sein Meister Arnold Ringli hätten damals das Publikum mit der ersten dokumentierten "Einhändertagwacht" in der Basler Trommelgeschichte zu Standing Ovations hingerissen:
Die Einhänder-Tagwacht bestätigt ebenfalls das Jahres-Protokoll der Alten Stainlemer aus dem Jahre 1918:
Ebenfalls durch ein Protokoll der Alten Stainlemer von 1919 bestätigt werden kann Noldis Position in der Jury des Preistrommelns:
Christian Zingg, studierter Historiker und langjähriges Aktivmitglied der Alten Stainlemer, konnte uns ausserdem folgendes aus dem Buch Trommeln und Pfeifen in Basel von 1985 extrahieren:
Auf S. 51 steht, Noldi habe das Trommeln ebenso wie Carl Dischler, Emil "Mix" Hug, Adolf Kern und Joseph Wintzer (alles Trommelpioniere aus den ersten Jahrezehnten des 20. Jahrhunderts) beim bekannten Elsässer Trommellehrer Charles Schmitt in Binningen gelernt.
Charles Schmitt oder «dr Drümmeli-Schmitt» war ein ehemaliger französischer Militärtambour, der das Trommeln nach traditioneller französischer Trommelschule lehrte, also ein Trommeln aus dem Handgelenk mit möglichst unbewegtem Oberkörper (im Gegensatz zum virtuoseren preussischen Stil mit grossen Bewegungen von Armen und Oberkörper, der damals z.B. von Dr. Fritz "Frutz" Berger propagiert wurde).
Ausserdem konnte Zingg einen weiteren interessanten Hinweis aus der Novelle selbst extrahieren, der auch den literarischen Ruesser den Alten Stainlemer zuordnet:
Ich habe vor einigen Tagen wieder einmal den Ruesser gelesen und bin auf ein - von mir vergessenes - Detail gestossen, das einen weiteren Hinweis darauf gibt, dass der Ruesser, wie auch Noldo Ringli, Mitglied der Alten Stainlemer war. Und zwar geht es um die Namen der Protagonisten: Während alle Trommelstars, die auftreten oder erwähnt werden (z.B. Heiri Löw (dr Sabelhairi), Seppi Wintzer oder Carli Dischler), dies unter ihrem realen Namen tun, sind alle Cliquenkollegen mit Fantasienamen ausgestattet, die ich keinem damaligen Stainlemer zuordnen kann, obwohl die Mitglieder der ersten Jahre (1912- ca. 1930) vom Namen her ziemlich gut kenne, da ich am Jubiläumsbuch von 1987 mitgeschrieben habe. EINE Ausnahme gibt es hier allerdings. Auf den Seiten 11 und 24 (Ruesser Ausgabe 1959) wird "der alte Männi Dreyer" erwähnt und als alter Fasnächtler charakterisiert. Tatsächlich gab es diesen Emanuel Treyer! Er trat 1912 in die Alten Stainlemer, bzw, deren Vorläufer die "Donnerstags-Gesellschaft" ein, nachdem er zuvor schon viel für die Fasnacht geleistet hatte.
Emanuel Treyer war von 1916 bis zu seinem Tod 1923 Präsident der Alten Stainlemer und eines ihrer ersten Ehrenmitglieder.Es gibt noch einen weiteren Hinweis: Auf Seite 20 (Ruesser Ausgabe 1959) wird erwähnt, dass die Trommelübung im "Breo" stattfanden. In diesem Zusammenhang wird auch die Studentenverbindung "Zofingia" genannt. Tatsächlich hatten die Alten Stainlemer von 1915 bis zu dessen Abriss 1927 ihr Stammlokal im Rest. zum Löwenfels, genannt "Breo" (=studentische Verballhornung des Namens des Wirts: Brändlin). In diesem Lokal verkehrte auch die Studentenverbindung "Zofingia", mit der die Alten Stainlemer bis heute eine feste Freundschaft verbindet. So tritt die Clique in jedem zweiten (= Drummeli-freien) Jahr am Zofinger-Conzärtli auf.
Doch nochmals zurück zum Nachruf Bolos über Paul Leder. Den Schlüsselabschnitt, den wir in dieser Recherche zu finden hofften, finden wir in der zweiten Spalte ganz unten:
Und damit haben wir unseren endgültigen Nachweis: Arnold Ringli ist definitiv der stärkste Kandidat für den literarischen Ruesser, war er doch vom Ruesserschreiber selbst in einer öffentlichen Publikation um 1918 als ebendieser bezeichnet worden.