Alte Mutter

Du stehst jenseits der Grenzen einer Zeit.
Dein Antlitz ist dem Löschblatt zu vegleichen
In seinen Linien und verwischten Zeichen.
Um dich webt leis ein Hauch von Ewigkeit.

In schütteren Strähnen windet sich das Haar
Und weht als Schneewind um der Schläfe Tal.
Von Wohl- und Wehbehagen, Freud und Qual
Spricht dieses müde Auge seltsam klar.

Du bist der Inbegriff des Opferns, Gebens :
Wo alle Welt nur nehmen mag – du gibst !
Wer liebt uns Menschen so, wie du uns liebst ?
Du weißt um Sinn und Un-Sinn unseres Lebens.

Begriffe wechseln, werden alter Plunder,
Was gestern galt, gilt morgen längst nicht mehr.
Doch: Aendert sich die Welt auch noch so sehr –
Du bleibst das alte, schöne, liebe Wunder.

Seit Urbeginn der Welt – gab ’s eine Zeit,
In der es nicht die Mutter schon gegeben ?
Du lebtest. Lebst. Und du wirst ewig leben.
„Mutter“. Das klingt. Und das heisst: Ewigkeit.


Verfasst im Mai 1934