Dr letscht Mittwuch Morgestraich

Eine Hörnovelle nach einem historischen Ereignis aus dem Jahre 1927.

Autor: Bolo Mäglin
Aufnahmedatum: 04.02.1963
Erstes Sendedatum: 04.03.1963 im Radio Beromünster (Schweizer Radio DRS)
Redaktion: Land und Leute
Länge: 37m 17s

Das Hörspiel ist seit dem 05. März 2022 auf CD im Bider und Tanner erhältlich und kann dort bestellt werden.

Besetzung

Werner Bossert
Roland Rasser
James Meyer
Walter Kummler
Martin Plattner
Uller Dubi
René Besson
Berthold Büche
Peter Meiner
René Beer
Willy Buser
Otto Müller
Albert Müller
Helli Stehle
Silvia Schmassmann
Charles Vultier
Emanuel Suter
Max Knapp
Armand Ferralli
Paul Hug, Wirt im Paradies
Bärny
Charly
Karli
Max
Ruedy
Walty
Polizist
Polizist
Polizist
Polizist
Künstler
Gérant
Mama
Elsy e Schatz
Regierungsrat Oberhuuser
Papa
Wachtmeister
Künstler

Die Geschichte

Wir schreiben den Fasnachts-Dienstag von 1926 (in der Realität wohl eher 1927, dazu mehr aber weiter unten).
Spätabends sitzt eine Handvoll Fasnächtler in einer illustren Zech-Runde in einer Grossbasler Spelunke und entdeckt einen Schreibfehler im Kantons-Blatt Basel-Stadt. Das Polizeidepartment erwähnt dort in einem amtlichen Informationsschreiben, dass das Trommeln am Montag und Mittwoch (!) ab 4 Uhr gestattet sei. In den Fasnächtlern wächst ein irrwitziger Plan heran, dies als Aufforderung zu zivilem Ungehorsam zu verstehen ...


Die historischen Hintergründe

Das Wissen darum dürfte sich längst verflüchtigt haben, aber ja, früher gab es tatsächlich zwei "Morgestraich" an der Basler Fasnacht. Einen am Montag Morgen, wie wir ihn heute noch immer kennen, aber ebenfalls einen zweiten am Mittwoch Morgen, ebenfalls um 04:00.

Im vollumfänglichen Hörspiel wird dies ab Minute 5:41 erstmals beschrieben und zudem auch, weshalb der Mittwuch Morgestraich abgeschafft wurde. Da dieses hier aber leider aus urheberrechtlichen Gründen nicht zum Hören angeboten werden kann, wollen wir diese Schilderungen im Folgenden gerne zusammenfassen.

Das Leid war dasjenige vieler heutiger Kulturveranstaltungen, welche, wie damals wohl auch noch die Fasnacht, nicht den Vorzug einer "unantastbaren Tradition" genossen: Innenstadt-Bewohner reklamierten wegen dem Lärm, der ihnen während den "drey scheenschte Dääg" gleich zwei schlaflose Nächte bescherte. Energiezehrend waren diese natürlich ebenfalls für die Fasnächtler, besonders diejenigen, die tagsüber noch ihrer Arbeit nachgehen mussten. Denn obwohl der zweite Morgenstreich fakultativ war, war es "Bebbi-Ehresach" dabei zu sein. Erschwerend dazu kam auch sicherlich, dass Cliquen, die ihn ausliessen, vom Basler Fasnachts-Kommitee weniger Subventionen erhielten.

Aufgrund dieser Probleme handelte das Fasnachtskomittee irgendwann einen Deal mit dem Polizeipräsidium aus, wonach man statt wie bisher (20:00 Uhr) nun neu bis 22:00 musizieren durfte, wenn man den Mittwoch Morgenstraich dafür fallen liess.

Als Jahr für diesen Kuhhandel wird auf altbasel.ch das Jahr 1912 genannt:

Am Morgenstreich von Samuel Bell 1833 waren auch Kinder beteiligt. Jakob Christoph Pack (1768-1841) berichtete, dass ihnen an diesen Montag das Trommeln verboten gewesen sei. Daher lärmten sie mit Klapperinstrumenten, um den Morgenstreich im Gang zu halten. Jedoch hätten die Kinder am Mittwoch die Trommeln rausgeholt, und den Morgenstreich wie gewohnt geschlagen.

Diese Erwähnung belegt, dass es damals üblich war, den Morgenstreich sowohl am Fasnachtsmontag wie auch am Mittwoch, dem letzten Fasnachtstag durchzuführen. Die Chronik des Basler Jahrbuches nennt indirekt und direkt einen zweiten Morgenstreich. 1891 und 1896 ist die Rede von einem "Montag-Morgenstreich", was darauf hinweist, dass es noch einen anderen gab.

Konkret wird für 1900 erwähnt, dass der Mittwochnachmittag lebhafter gewesen sei, als es die Stille am zweiten Morgenstreich hätte erwarten lassen. 1912 erlaubte die Polizei neu das Trommeln an Montag und Mittwoch bis 22.00 Uhr, wofür aber nun der zweite Morgenstreich am Mittwoch gestrichen wurde. Der Morgenstreich zum Fasnachtsauftakt überlebte als einziger der beiden.

Ebenfalls erwähnt wird diese Jahreszahl in einem Dokument des Fasnachts-Comités über die grossen Eckpunkte der Basler Fasnachtsgeschichte:

1912: Es wird auf den bisher zweiten Morgenstreich am Mittwoch verzichtet.

In der Beschreibung des Werks in der Datenbank des SRF, dem aktuellen Rechteinhaber, ist allerdings mit Bezugnahme auf breo.ch vermerkt:

In Basel fand während einer bestimmten Zeit ein zweiter Morgenstreich statt, der sog. Mittwoch-Morgenstreich. Dieser wurde ab 1925 polizeilich verboten.

Als logische Folge wird im Dokument des SRF auch die Jahreszahl 1926 als Jahr dieses historischen Ereignisses, dem "Letzten Mittwoch Morgenstreich", genannt. Eventuell lässt sich dieser Widerspruch so erklären, dass ab 1912 der Mittwoch Morgenstreich von Seite des Fasnachts-Comités offiziell nicht mehr stattfand. Möglicherweise führten ihn angefressene Fasnächtler weiterhin durch und er wurde erst ab 1925 gesetzlich verboten.

Hörspiel-Faktencheck

Im Hörspiel wird im Einleitungsvers des Erzählers schon früh eine Jahreszahl genannt:

Me hett s Joor 1926 gschriibe ...

Später, in der Unterhaltung der Fasnächtler, ist lediglich von "früher" die Rede in Bezug auf den Mittwoch Morgenstreich resp. dessen Verbot. Man vernimmt den Wirt, wie er belustigt zu den müde gewordenen Fasnächtlern sagt:

Doch-doch, dir sind mer no Helde-n-ihr. Du, was wurdet dir ächt mache, wenner miesstet dr Mittwuch Morgestraich mitmache, wie mir friejner?

Die jungen Fasnächtler sind ob dieser Aussage baff und wollen gerne mehr wissen über diesen Mittwoch Morgenstreich:

Werum macht me-n-ächt hitt dr Mittwuch Morgestraich nimmi Pauli?

Würde man der Jahreszahl 1912 für den letzten Mittwoch Morgenstreich glauben, so macht das Unwissen dieser jungen Fasnächtler resp. deren Erstaunen über diese vergessene Tradition des "Mittwuch Morgestraich" noch Sinn, denn das Stück spielt gemäss eigener Aussage ja im Jahr 1926.

Nimmt man aber die Aussage ernst, nach welcher der Fehler im Kantonsblatt durch "Schablone-Arbet" entstanden war ("wie alli Joor"), also durch Kopieren des Textes der Vorjahre und alleiniges Abändern des Datums, muss das Datum für den letzten erlaubten Mittwoch Morgenstreich aber zwingend ein Jahr davor gewesen sein. Glaubt man dem Dokument des SRF, wäre dies also 1926. Das lässt dann aber das oben erwähnte Unwissen der Fasnächtler bezüglich dem Mittwoch Morgenstreich und die Erwähnung des "früher" als Widerspruch erscheinen.

Die Frage ist also rein inhaltlich nicht ganz zu klären. Glücklicherweise liegt uns Beweismaterial in Form des Basler Kantonsblatts vom 5. März 1927 (aus Bolos Nachlass) vor, in welchem diese Falschinformation des Polizeidepartments vom Autor sogar selbst markiert wurde:

Mittwuchmorgestraichfehler
Die originale Inspiration und Legitimierung für "Dr letscht Mittwuch Morgestraich" - ein kleiner Fehler im Basler Kantonsblatt von 1927

Dies legt den Schluss nahe, dass a) der Aufhänger für das Stück tatsächlich Fakt ist und b) dass der besagte "Letscht Mittwuch Morgestraich" definitiv an der Fastnacht 1927 stattgefunden haben muss, denn nur an dieser konnte einmalig davon Gebrauch gemacht werden. Auch muss 1927 das korrekte Datum sein, da Bolo ohne dieses Kantonsblatt diese Geschichte kaum hätte erfinden können.

Dass das Stück inhaltlich autobiographisch ist, ist übrigens offensichtlich, lautet der Name des Hauptakteurs doch "Ruedi" und der seiner Frau "Elsy".

Verbotskultur par excellence

Hier als Schmankerl noch das gesamte Kantonsblatt vom 5. März 1927 mit den Fasnachtsverordnungen auf den Seiten 3 bis 5, welche echt unterhaltsam zu lesen sind:

Basler Kantonsblatt 1927 - Inspiration für dr letscht Mittwuch Morgestraich
Download ⭳

Wenn man sich diese "anständigen" Kleidervorschriften, die Androhung einer Anzeige (sollte man es wagen einen "religiösem Kultus" der Lächerlichkeit preiszugeben) oder die Kneipen-Sperrstunden für Kinder vor Augen führt, kriegt man einen wagen Eindruck davon, wie überrreguliert und restriktiv die Zeiten damals für Fasnächtler waren - und wie offen sie dagegen heute sind.