Es gehört für den echten Basler zum Vergnüglichsten, was ihm passieren kann, wenn ihm gelegentlich fremde Blätter mit ernst gemeinten Abhandlungen über die Basler Fasnacht unter die Augen kommen. Dann kann der besagt Basler, wenn dem jeweiligen Autor nicht ein erfahrener Fasnächtler als Gewährsmann zu Gevatter stand, sich zumeist auf viel blühenden Unsinn gefasst machen. Fasnachts-Fanatiker, deren Zahl und Geist zum Glück klein ist, werden darüber wild (wie Weiland etwa über die Spinnereien eines Lord Arran).
Gute Fasnächtler aber, zu denen die Fanatiker nie zählen, geraten über solche Artikel ins Schmunzeln und registrieren sogar mit etwelcher Genugtuung, dass diesen Fremden die „Geheimnisse“ der Basler Fasnacht . . . geheim geblieben sind!
Für diese Unkenntnis werden die fremden Schreiber umso vernünftiger zu entschuldigen sein, als es Einheimische (welcher ursprünglichen Herkunft ?) genug gibt, die ihrerseits trotz aller Grossmauligkeit über die Basler Fasnacht zu wenig Bescheid wissen. Wie anders wäre es erklärlich, dass eine grosse Basler Tageszeitung noch 1966 Beiträge erzürnter Fasnachts-Fanatiker aufnahm, in denen (leider unwidersprochen) von „unserer 500jährigen Fasnacht“ gefaselt wurde . . . die es vergleichsweise nie gegeben hat.
Die Ursprünge der alten Basler Fasnacht
unterschieden sich durch nichts von denen ähnlicher Veranstaltungen in anderen Städten. Wenn es in Basel schon zu einer Zeit „Fasnacht“ gab, in der Christoph Kolumbus noch an seinem (rein erfundenen) Eiertrick herumstudiert und von Amerika nichts gewusst haben soll, dann handelte es sich um einen Mummenschanz, wie er in Europas Städten „gang und gäbe“ war. Darüber ist in jedem guten Lexikon unter den einschlägigen Stichworten (vorchristliche Bräuche, abergläubische Hintergründe etc.) alles Wichtige nachzulesen.
Da es also hier einen Mythos zu zerstören gilt, und da ohne einen knappen Rückblick auf deren Vorgeschichte die heutige Basler Fasnacht ziemlich unverständlich bliebe, sind einige Betrachtungen deren Historie unerlässlich:
Die fälschlicherweise so vielgerühmte „500jährige Basler Fasnacht“ bestand in früheren Jahrhunderten und bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts einfach daraus, dass um die Aschermittwochstage herum, also zur Fasnachtszeit, in Basel (und wahrscheinlich auch in anderen Städten) die Jungmannschaft bei Tagesanbruch bewaffnet durch die Strassen zog, um – wie man heute sagen würde – ihren Wehrwillen zu bekunden.
Man trug, was man von der Hellebarde bis zum Seitengewehr auftreiben konnte. Man lärmte in der Gegend herum, machte ein Fest aus den Tagen, und wenn man schon kostümiert war, dann trug man als Verkleidung die Trachten aus nachbarlichen Landschaften. Baslerisch daran war nur, dass sich das in Basel abspielte. Alles Andere gehört in das Reich der Fabel . . . . wie etwa die „Jahrhunderte alte Trommelkunst der Basler“ die es auch nie gab!
Die heute noch von Klugewichten gelegentlich herumverzapfte Mär, nach welcher baslerische Teilnehmer der Kreuzzüge (1100 – 1300), vom fernen Kleinasien zurückkehrend, die Grundlagen Baslerischer Trommelkunst geliefert hätten, ist nichts anderes als die missverstandene und falsche Deutung einer Forschungsvermutung unseres verdienten „Trommeldoktors“ Dr. Fritz Berger, wonach die Trommel (nicht die Trommel-Kunst!) asiatischen Ursprungs und von schweizerischen Kreuzzug-Teilnehmern zu uns gebracht worden sei. Die mutmassliche Richtigkeit dieser Feststellung dürfte auf der Tatsache basieren, dass damals, d.h. zur gleichen Zeit wie in der Schweiz, in allen europäischen Landen die Trommel auftauchte, weil man ihren militärischen Wert als Signalinstrument im Kampf und als rhythmisches Ordnungsinstrument im Truppenmarsch erkannt hatte! Trommel und Querpfeife spielten in der Folge, wie zeitgenössische Darstellungen und Überlieferungen dartun, die Rolle der primitiven Instrumente, mit denen zum Tanz aufgespielt wurde. Diese Instrumente dienten also noch auf Jahrhunderte hinaus rein rhythmischen Zwecken – man kannte weder zusammenhängende Märsche noch Weisen, wie das heute der Fall ist. Die entscheidende Rolle der
Trommel an der Basler Fasnacht
ist also relativ jüngeren Datums und widerlegt die Fama von der „Jahrhunderte alten Basler Trommelkunst“ schlüssig. Man kann dagegen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, des Baslers Freude am Trommeln in den napoleonischen Jahren dank aus fremdem Kriegsdienst heimkehrender Tambouren aufkam, so dass man getrost behaupten kann, die Anfänge der Basler Trommelkunst reichten auf höchstens ca. 170 Jahre (Referenzjahr ca. 1945) die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurück.
Es mag überraschen, dass die Basler „Fasnacht“ noch bedeutend jüngeren Datums ist, gab es doch noch 1853 den „Basler Carnevals-Verein“, der jährlich den Fasnachts-Nachmittags-Umzug ( daher der noch heute gebräuchliche Ausdruck „Zug“ ) mit bis zu 500 Teilnehmern organisierte und durchführte. Noch bis zur letzten Jahrhundertwende waren das, wie etwa in den rheinischen Städten Germaniens, meist Schauzüge, die sich vorwiegend mit Themata der zeitgenössischen Historie befassten. Das blieb auch noch so, als sich ab 1858 das damals neugegründete „Quodlibet“ oder ab 1864 das „Turnerkränzli“ des Bürgerturnvereins oder in den Siebziger- und Achtzigerjahren Quartiervereine (im Kleinbasel das „Wurzengraber-Kämmerli“) dieser Aufgaben annahmen.
Das war eben Fasnacht nach damaligen Begriffen – nach unseren heutigen waren es Feld-, Wald- und Wiesen-Fasnachten, wie sie auch anderwärts hätten durchgeführt werden können, mochte ihnen auch da und dort der „esprit moqueur“ des Baslers einige besondere Lichtlein aufgesetzt haben. Der Unterschied zu heute ist leicht definierbar:
Den äusseren Anlass zum Umschwung soll die Tatsche gebracht haben, dass zur Vierjahrhundertfeier von Basels Eintritt in den Schweizerbund (1501-1901) für das Festspiel von Hans Huber (1852-1921) mit Mühe und Not genügend geschulte Tambouren gefunden werden konnten. Das liess die Wägsten unter ihnen, bekannte Stadt-Tambouren und Tambourmaîtres, aufhorchen.
Nach einigen Jahren mühevoller Nachzucht etwelcher Jungmannschaft gründeten die anerkannten Koryphäen baslerischer Trommelkunst 1905 die erste Trommelschule im Keller der nunmehr zum Abbruch verurteilten Kaserne am Rhein. Im Jahre 1906 vereinigten sich die damals relativ wenigen bestehenden Cliquen zur erstmaligen Durchführung des nachmals so berühmt gewordenen „Monstre-Trommel-Konzertes“; in dessen Rahmen durfte die Elite der erwähnten ersten Trommelschule erstmals auftreten . . . und sie erntete in der alten, brechend vollen „Burgvogtei“ (dem heutigen Volkshaus ) einen durchschlagenden Erfolg ! Damit war der Bann gebrochen. Die weitere Entwicklung ist bald erzählt:
Der Wert der systematischen Jungschulung wurde erkannt. Die Cliquen schritten alsbald zur Gründung eigener Trommelschulen. Der Wettbewerb unter den Gesellschaften war entbrannt, der Ehrgeiz trieb zu ausserordentlichen Anstrengungen.
Mit der rapiden Zunahme der Trommlerscharen kam es automatisch zu Cliquenspaltungen und zur Gründung neuer Cliquen. Mit der raschen Vermehrung der Cliquen hatte die letzte Stunde eines Einheits-Zuges und Einheits-Sujets (nach freien Vorbildern) für alle Zeiten endgültig geschlagen:
Der Wettstreit unter den Cliquen führte dazu, dass jede danach strebte, mit der Wahl eines eigenen „Sujets“ und mit dessen fasnächtlichem Aufbau und Ausbau die „Konkurrenz“ zu schlagen. So entwickelte sich die Basler Fasnacht mit Riesenschritten im Zeitraum von knappen 20 Jahren, eine Jahrhunderte alte Tradition pseudobaslerischer Quasifasnacht buchstäblich versinken lassend, bis zu ihrer heutigen Standartform, von der getrost und ohne Wichtigmacherei behauptet werden darf, dass sie ihresgleichen nirgends in der Welt hat.
Die heutige Fasnacht à la Bâloise!
Bevor wir dem Leser eine Deutung des Wesens der heutigen Basler Fasnacht geben, bedarf es noch eines Wortes zur Basler Trommelkunst.
Als der grosse Auf- und Umschwung zu Anfang der 20. Jahrhunderts kam, da existierten in Basel – je nach den Maîtres – noch verschiedene Trommelstile, bis es auch hier zu einer Einigung kam (ca. 1910). Damit begann auch die für fremde Ohren kaum richtig festzustellende einmalige Verfeinerung des baslerischen Trommelns. Man schuf einen einheitlichen Trommeltyp, man schuf Trommelnoten und man entwickelte eine Schlagtechnik, die von keinem ehemaligen Vorbild heute auch nur entfernt erreicht wird. Damit aber hatte das baslerische Trommeln eine Bedeutung erreicht, die es zum eigentlichen Fundament der Fasnacht werden liess.
Dasselbe gilt aber auch für die fasnächtliche Kunst der Piccoloblasens, die überaus jungen Datums ist. Das dürfte seinen Hauptgrund darin haben, dass die Armee, den Wert des Trommelns für die Einheit klar erkennend, dieses förderte, von der Schaffung von Piccolo-Ensembles aber völig absah. Auch hier blieb es baslerischen Pionieren, zu denen sich auch berühmte Dirigenten und Komponisten gesellten, vorbehalten, so bedeutende Schrittmacherdienste zu leisten, dass unsere heutigen Pfeifergruppen imstande sind, ihre Weisen bis zu fünfstimmig zu blasen. Den Unterschied zum Ausland erkennt am besten, wer schon etwa deutsche „Querpfeifer“-Truppen ihre eintönigen Melodien blasen hörte. Daneben sind unsere „Piccoloministen“ reine Symphoniker ! Piccolo-Ensembles von 15-30 Mann, die ihren eigenen und durchaus eigen-artigen Klangkörper bilden und mehrstimmig ihre eigenen Melodien klingen lassen, gibt es bei keinem noch so grossen oder noch so berühmten Orchester der Welt . . . allermindestens hat man bisher nie von etwas auch nur annähernd Ähnlichem gelesen oder gehört. Und nun zum
Wesen der heutigen Basler Fasnacht.
Die Basler Fasnacht besteht aus soviel Teilen, als es Tambouren- und Pfeifer-Cliquen, Wagen-Cliquen und Guggenmuusigen gibt (wobei diese „Muusigen“ der Fasnacht jüngste Kinder sind, entstanden sie in dieser organisierten Bandenform doch erst nach dem Ersten Weltkrieg).
Während die Wagen-Cliquen und die Guggenmuusigen an kein Sujet gebunden sind, bilden die Tambouren- und Pfeifercliquen – buchstäblich getrennt marschierend, vereint schlagend – mit ihren Sujets das eigentliche Herzstück der Basler Fasnacht und machen deren unerreichte Vielfalt aus.
Der „Sujet“-Wahl sind weder von der politischen Obrigkeit, noch von der Polizei oder seitens des Fasnachts-Comités, irgendwelche Grenzen gesetzt (einzig alles Religiöse ist tabu). Es steht also den Cliquen völlig frei, ob sie lokale, eidgenössische oder internationale Themata durch Kostüm und Maske (Larve), Laterne und Literatur (Handzettel) glossieren wollen. Wenn sie sich seit Jahren fast ausschliesslich auf lokale oder schweizerische Zielscheiben ihres Spottes beschränkten, so geschah dies nicht etwa aus Angst, sondern einfach deshalb, weil die internationalen Begebenheiten und Geschehnisse meist allzu traurig oder gar zu anrüchig sind, als dass sie sich zu Fasnachts-Zwecken eignen würden. Im Glossieren ihrer Themata aber haben die Fasnächtler von Basel ein Fingerspitzengefühl und eine Virtuosität erreicht, die Verirrungen und Taktlosigkeiten fast automatisch auch da ausschliessen, wo die Persiflage an Deutlichkeit sonst nichts zu wünschen übrig lässt.
Der „Sujet-Beschrieb“ erfolgt am unverkennbarsten durch die „Laterne“ mit ihren gewaltigen Ausmassen, sowie durch die gratis zur Verteilung gelangende Literaur (genannt „Zeedel“). Hat der Beschauer das „Sujet“ erraten, dann hat er Gelegenheit, den Ideenreichtum in der Gestaltung eines „Zuges“ zu bewundern. Der Begriff „Zug“ sei noch kurz erläutert:
Der „Zug“ jeder Tambouren- und Pfeifer-Clique setzt sich zusammen aus folgenden
fünf Hauptelementen:
DER VORTRAB stellt die Begleitfiguren des zu persiflierenden „Falles“ oder Ereignisses. Diese die „Zeedel“ verteilenden und auf den Strassen durch die Menge freie Bahn schaffenden Vortrab-Figuren haben in ihrem kostümlichen Ausbau ausnahmslos einen direkten Bezug auf das „Sujet“ oder auf Teile von ihm, wobei die Phantasie oft tolle Purzelbäume schlägt und das Erraten des Zusammenhangs dem Beschauer zu wahren Entdeckungsfreuden verhilft. In der Mitte des Vortrabs rollt
DAS REQUISIT. Das ist eine oft umfangreiche und plastisch gebaute „Rosine“ aus dem Sujetkuchen und verlangt wochenlange Freizeitarbeit der Mitgliedschaft.
DIE LATERNE, die wegen der Tramdrähte (!) inklusive Laternenträger eine maximale Höhe von 4,20m erreichen darf, ist sozusagen das „Bilderbuch“ des „Sujets“, das sie in leuchtender Farbenpracht und träfen „Sprüchen“ erzählt.
DER TAMBOURMAJOR, der Beherrscher jeglichen pfeiferischen und trommlerischen Geschehens, wandelt als thematisches Bindeglied in entsprechend pompöser und köstlicher Aufmachung gravitätisch zwischen den Phalanxen der
PFEIFER und TAMBOUREN: Die möglichst kontrastreich kostümierten Gruppen bilden die eigentliche Pointe des „Sujets“ und sind sich dieser Tatsache und ihres Triumphes durchaus bewusst.
Diese 5 Elemente bilden also zusammen einen „Zug“. Und dieser Züge weist die Basler Fasnacht 50-60 auf (die Kleinen und die Veteranen nicht gezählt), und alle Züge sind eigenständig, auch wenn sie notgedrungen in manchen Strassen der Stadt in einem „Cortège“ und im „Sens unique“ marschieren müssen. Dazu noch ein Wort:
Es ist eine Ironie des Schicksals, dass die Basler Fasnacht nach ihrer scharfen Abkehr von den früheren „Festzügen“ sich teilweise und aus praktischen Gründen zu einem „Cortège“ bequemen muss. Aber die engen Strassen und Gassen des Stadtkerns und die gewaltigen Zuschauermassen erlauben (mit wenigen Strassenausnahmen) keine andere Lösung; verzweifelte Versuche des Fasnachts-Comités und des Cliquenobmänner-Gremiums waren bisher durch die unerbittlichen Gegebenheiten zur Erfolglosigkeit verurteilt. Laien könnten einwenden, die Stadt sei gross genug, ergo könne man doch die Marschrouten vegrössern. Das ginge nicht ohne entscheidende Einbusse am fasnächtlichen Charakter. Man stelle sich ein Cabaret in einer Mustermessehalle vor: Trotz Mikrofon müsste seine Wirkung flöten gehen! Und die Fasnacht braucht als zweckdienliches Cachet eben die Intimität des Stadtkerns, der nun einmal nicht vergössert werden kann.
Fügen wir noch bei, dass unsere Fasnachts-Cliquen keine Standesunterschiede politischer Art oder wirtschaftlichen Charakters kennen, sondern dass in diesen Tagen der Büezer Schulter an Schulter mit dem Direktor mitwirkt, dann weiss der Leser, weshalb das Basels faszinierendste Tage sind! Die Fasnacht!
Bolo
Publikation in der National-Zeitung anlässlich einer Versammlung des Schweizerischen Verbandes der Zeitungsverleger in Basel, publiziert vermutlich kurz vor dem 2. Weltkrieg. Damals gab erst zwei "Alti Garde": VKB und Olympia. Dies war ausserdem eine Zeit, in welcher Frauen in Cliquen noch immer unerwünscht waren. Die erste Frauenclique, Die Abverheyte, die sich nach einer Ablehnung bei der Alti Richtig Clique 1938 zur ersten Frauenclique formierten, mussten sich damals noch als "Buebezügli", dem maskulinen Vorgänger des "Schissdräckzügli", zum Cortège anmelden, um vom Fasnachts-Comité überhaupt zur Fasnacht zugelassen zu werden.
Dieser von Bolo verfassten Kolumne ging folgendes Vorwort voraus:
Wer eine Stadt kennenlernen und ihre „Eingeborenen“ verstehen will, der muss ihre berühmten Feste „studieren“. Und wenn eine Stadt wie Basel im Laufe weniger Jahrzehnte durch ihre – alle anderen Feste überschattende – „Fasnacht“ so berühmt geworden ist, dann waren wir sicher gut beraten, als wir beschlossen, auf die in Basel stattfindende Tagung unseres Verbandes hin deren Teilnehmern und einer weiteren Leserschaft aus berufener Feder eine Charakterisierung der berühmten Basler Fasnacht zu bieten.
Die Redaktion