«Memoiren» eines Schnitzelbänklers
Ein «Leitfaden» von Theophrastus Halsdiechli
Isch das nid e Schnitzelbank - nochhär het me's Deifelsdank ...
Kapitel I. «Die Macht der Gewohnheit!»
Wenn man von Morphi-, Cocai- und anderen «-nisten» behauptet, dass sie ihre einmal angefangenen Laster nie mehr los werden, so kann man das - erschrick nicht, lieber Fasnächtler - mit gleichem Recht vom Schnitzelbänkler behaupten: wer einmal mit süsser Innigkeit und wohltuender Freude (- Schadenfreude ist noch immer die reinste Freude -) sein ihm von der Natur mitgegebenes und mit der Zeit kunstvoll ins baslerisch-fasnächtliche übersetztes böses Maul an seinen entsetzten Mitmenschen gewetzt hat, dem wird dies alljährlich wiederkehrendes Bedürfnis - er kanns nicht mehr lassen.
Im Gegenteil: er probiert seine Künste gelegentlich allerhand geeigneter Anlässe; nebenbei aber hat er im Kopf ein besonders gut rutschendes Schublädlein: das wird so oft herausgezogen, als irgendetwas Geeignetes (für die Fasnacht geeignetes) passiert. Ob man es durch eine gedruckte oder durch eine lebendige Zeitung erfährt, ist ganz gleich: fein säuberlich wird das Thema in das Schnit-
zelbankbüchlein gelegt zu all den schon vorhandenen, fein säuberlich wird dieses Schublädlein
wieder zugestossen, damit keines der imaginären Manuskripte etwa herausfällt und sich verliert. Und dann, wenn die Tage nahen, an denen die menschlichste aller menschlichen Gewohnheiten ausnahmsweise einmal hochoffiziell und nicht nur halbamtlich regiert - die Narretei nämlich - dann werden mit beschaulicher Inbrunst diese Themata ausgepackt, sortiert, überlegt - und die giftigsten unter ihnen haben die Ehre, in die engere Wahl zu fallen. - Nun kommen wir in unserem Leitfaden bereits zu
Kapitel II. «Wie sage ich’s meinem Kinde?»
(Nein, beruhigen Sie sich: dieses «Büchlein» kennen sie wirklich noch nicht! Denn ich meine: Wie sage ich’s meinem Kinde, - wie man einen Schnitzelbank macht!)
Ich könnte auch als Überschrift setzen: Wie mache ich einen Schnitzelbank? Merke wohl: «(...) einen Schnitzelbank.» - Wer < (...) eine (...) > sagt (femininum) oder gar «Schnitzler» (- was ebenso schlecht klingt wie «Fasching» oder «Karneval»! -), der ist nicht Basler.
Also: Wie sage ich es meinem Kinde, auf dass die richtigen guten Schnitzelbänkler wieder erstehen? Das ist nun gar keine einfache Sache. Denn: Schnitzelbankverse sind Verse ganz eigener Gattung. Verse, von denen man, sollen sie echt sein, muss behaupten dürfen: «Das hat kein Schiller g’schrieben und kein Goethe ‚dicht’t!» Verse, die aber trotz- dem eines gewissen Schliffs nicht entbehren dürfen, die den Stempel des Ausdemärmelschüttelns in sich tragen müssen. Diese Art Verse sind nicht zu verwechseln mit Couplets; man darf sie auch nicht mit irgendwelchen Klapphornversen oder Moritatenstrophen vergleichen wie dies kürzlich einer meiner in Germany bebürgerbrieften Bekannten tat. Nein: Schnitzelbankverse sind mit einem Etwas beflügelt, das schwer zu nennen ist. Um nur zweierlei zu sagen: entweder ist ihr Witz in saftigen Versen und Pointen (zum Unterschied von nur derben oder gar unflätigen) verankert, oder: das, was man sagen möchte, sagt man, indem man's nicht sagt. Eine genauere Definition ist mir unmöglich. Man muss das eben im Gefühl haben, das heisst: man muss Basler sein. All’ das Obengesagte gilt auch für die Helgen. Und glücklich der Schnitzelbänkler, dem es am besten gelingt, Helgen zu zeigen, die an sich höchst harmlos und nichtssagend scheinen, durch träfe Verse aber plötzlich zum schlagenden Wetter werden. Am besten sage ich es wohl, wenn ich aus meinem «Leitfaden für Schnitzelbänkler» zitiere, und zwar
Kapitel III. «Aus meinen Memoiren»
Als Neunjähriger dichtete ich meinen ersten Schnitzelbankvers. Es ist schon recht lange her. Damals trat in Basel eine tätowierte Frau auf. Und da es noch keine Vereinigung gegen Schund und Schmutz gab, haben wir Primeli-Klässler uns natürlich die Bilder genau angesehen. Und trotz des absoluten Fehlens einer ebenzitierten Vereinigung entstand im Nu eines Morgens unter dem Halloh meiner Klassengenossen im Schulzimmer folgendes Urteilsprodukt einer Zwischenpause:
«Dert usse-n-in der Glogge, dert isch e wieschte Sogge...»
Derb? - Hm, ja, mag sein, aber erstens Schulbubenjargon und zweitens vermutlich zutreffend, denn ich entsinne mich genau, dass besungenes Weibsbild nicht schlecht an die Fastnacht kam.
Drei Jahre später, als Zweitklässler der Unteren Rölleli, wandelten wir noch immer nicht auf den absolut richtigen Schnitzelbankwegen, denn wir verarbeiteten ein einziges Thema in zehn Versen, anstatt eher umgekehrt. Damals tauchte wiedereinmal an der Messe ein «Lionel», ein «Löwenmensch» auf (wann gab es keine «Lionels»? Wir erinnerten uns lebhaft an die Schülervorstellung jenes Jahres:
«Jungfrau von Orleans!» Lionel!) Jener Lionel wurde in Bern als Betrüger entlarvt. Da dichtete ich unter Mithilfe meines Nebenmannes folgende Zeilen:
«Oh Lionel, du Löwenmensch,
du bisch mer no ne haitre Ma!
Dass du die Bärnerli nit kennsch,
isch was y nit bigryffe ka!
Hesch gmaint, kennsch’s au so mache, wie doo?
Do sinn aber d’Schugger zer rächte Zyt ko...»
(Wie man sieht Versfüsse ä la «Salu Dissi!») - Für das Geschreibsel unter dem Pult erhielten wir zwei Dichter Strafklasse, doch wurde die Strafe lachend vom Lehrer annulliert, als er die Verse las - er war nämlich Basler und Fastnächtler.
IV. «Der Scheideweg»
Einige Jahre später wirkten Etliche von uns, lauter Schulkameraden, an einem regulären Bubenzüglein mit. Der Zufall wollte es, dass wir abends auf unserem Heimmarsch in einem Restaurant mit einem Schnitzelbank zusammenstiessen. Irre ich nicht, so war’s der Männerchor Concordia, der damals brillant auftrat. Das gab unserem Schnitzelbänklerenthusiasmus neue Nahrung und neue Wege. Zu einer originellen Melodie sangen die Männer einen Eingangsvers:
«Wenn's klepft und schtinggt im ganze Land
Und Bank fir Bank verkracht,
so sinn mir froh, wenn’s numme no
Em Schnitzelbank nyt macht ...»
Vierstimmig klangen die saftigen Strophen durch das Lokal. Mir ist, ich hörte sie erst. Ich kann noch alle ausnahmslos auswendig (was vor allen Dingen für die Qualität jener Werke spricht). Selbigen Jahres absolvierte mein jüngerer Bruder die letzte Klasse der Unteren Rölleli. Die Klasse veranstaltete
einen Abschiedsabend. Und wir schmiedeten einen Schnitzelbank - hei, einen Schnitzelbank, dass die Funken stoben!
Versmass und Melodie mit dem Motto: «Wenn's
klepft und schtinggt im ganze Land - und Bank fir Bank
verkracht!»
Der erste Vers fing an:
"Oh, Relleli, oh Rittergass
Wie bisch du uns bikannt -
E Räkter dert sy Szepter schwingt,
Herr Tschültschefuess genannt!"
Und nun kamen von Rektor Jules (Schül - T schültsche - Tschültschefuess ... eine beliebte Schülerkombination!) bis zum letzten Lehrer alle an die Reihe! Gäste kamen aus der Wirtschaft in unseren Saal und lachten sich lazarettfähig, ja einer (wahrscheinlich ein ehemaliger Rölleli-Schüler) kaufte uns das Bild des Rektors für schweres Geld ab; die übrigen Bilder wurden zu Wucherpreisen versteigert, die Zettel vierzigmal abgeschrieben - und niemand wollte glauben, dass wir die Verse und Helgen ohne jede Beihilfe angefertigt hatten.
V. «Nimm und lerne!»
So hat ein einziger durchschlagender Bank, den wir hörten, bestimmend auf unsere Schnitzelbänklerzukunft gewirkt. Von da an ging es vorwärts. Jahr für Jahr musste ein Schnitzelbank her, wenn es auch vorläufig (der Minderjährigkeit und Abhängigkeit von zuhause wegen) nur für Vereinsschnitzelbänke reichte. Später «kursierten»> wir dann regelmässiger, als heute die Strassenbahn.
Und Heute? Willst du, geneigter Leser, einen Schnitzel bank dichten oder malen, so fange erstens nicht ein Vier teljahr vor der Fastnacht an, sondern erst vierzehn oder acht Tage vorher. Zweitens, gib dein Versgeheimnis nicht vor dem Fastnachtsmontag (abends) preis, lass es keinesfalls in Büchlein drucken. Fehlt dir aber drittens die Anleitung immer noch, so gehe in ein Lokal, in dem die Comité-Bänke verkehren: ein einziger Bank kann dich alles lehren!»
Artikel in der National-Zeitung 1924
Ebenfalls erwähnt in Jo, das isch e Schnitzelbangg! von Ruth Canova