Karl May-Fans graben den Waldkönig aus Bolos Mottenkiste

Manchmal treffen ganz spontan zwei Sphären aufeinander, die eigentlich oberflächlich kaum zueinander passen. Bei genauerer Untersuchung eröffnen sich dann aber plötzlich insteressante Querverbindungen.

Aber das ganze mal von vorne. Angefangen hatte alles, als uns im April 2020 eine interessante Anfrage aus Deutschland per Mail erreichte:

screenshot from 2025 11 05 17 54 28

Der Herr, der diese Anfrage gestellt hatte, stellte sich als «Stefan Schmatz»  vor; Sammler populärer Literatur und obendrein Schreiberling in einem seeehr nischigen Magazin namens KARL MAY & Co.:

Karl May um 1906 (Foto: Karl May Museum, Radebeul, DE)

Ja, Sie haben sich nicht verhört! Es gibt sie tatsächlich noch: die beinharten, nicht totzukriegenden Hardcore-Fans des vermutlich bekanntesten, porduktivsten Autors deutscher Abenteuer-Romane:

Karl Friedrich May, geboren 1842.

Bekannt wurde May vor allem durch seine sogenannten Reiseerzählungen, die vorwiegend im Nahen Osten, in den Vereinigten Staaten und im Mexiko des 19. Jahrhunderts angesiedelt sind. Besondere Berühmtheit erlangten die in drei Bänden zusammengefassten Geschichten um den Indianer Winnetou. Viele seiner Werke wurden verfilmt, für die Bühne adaptiert, zu Hörspielen verarbeitet oder als Comics umgesetzt.

Geschichte und Mission des Magazins

Das Magazin KARL MAY & Co. besteht seit 1984. Was damals als nur wenige Fotokopien starker „Karl-May-Rundbrief“ begann, ist heute ein professionell gestaltetes Magazin mit ca. 100 Seiten. Viermal pro Jahr erhalten die Leser/innen vielfältige Informationen rund um Leben, Werk und Wirkungsgeschichte Karl Mays.

Was hat das alles mit Bolo zu tun?

Um dies zu erklären, kehren wir wieder zur anfangs erwähnten Mailanfrage zurück.

Meine Antwort an Herrn Schmatz war, dass «Getti» Baseldeutsch für «Götti» sei, was in der Schweiz «Patenonkel» bedeute. Und ein solcher sei Bolo in jener Kinderbeilage (der Nationalzeitung) namens Dr glai Nazi gewesen, da er ja Erfinder und wöchentlicher Verfasser ebendieser Beilage war.

Mir brannte natürlich die Frage unter den Nägeln, woher das Interesse an dieser alten Kinder-Kamelle käme, die ja in den Siebzigern eingestellt worden war. Und da eröffnete mir Herr Schmatz folgendes, das meine Äuglein zum Glänzen brachte:

Mein Interesse rührt von meinem Hobby her: Karl May. Im kleinen Nazi findet sich nämlich eine Karl-May-Geschichte (1949/50). Ich spüre immer wieder mal interessante May-Veröffentlichungen auf und schreibe dann auch Artikel darüber, die in Karl-May-Fachzeitschriften publiziert werden. Ich werde da natuerlich auch Ihrem Grossvater ein kleines Denkmal setzen, denn er hat ja als verantwortlicher Redakteur dafuer gesorgt, dass die Karl-May-Geschichte erschien.
[...]
Die Geschichte, die ich suche heisst "Der Waldschwarze" und ist von Rene Gilsi illustriert. Gilsi und Bolo waren beide in der Zeitschrift "Nebelspalter" aktiv.
[...]
Der kleine Nazi ist auf dem freien Antiquariatsmarkt übrigens kaum zu finden, ich denke, die Zeitschríft ist sehr selten.

Sensationell! Ein Karl-May-Nerd, der sich für die Bananenkiste voller Nationalzeitungs-Kinder-Beilagen interessiert, als wären es die britischen Kronjuwelen. Ich war natürlich sofort Feuer und Flamme, dem Herrn bei seiner Trüffelsuche bestmöglich unter die Arme zu greifen. Ich lieferte einige Scans und fand eine Handvoll lustiger, May-relevanter Informationen (wie z.B. dass es im Glai Nazi einen Leser mit Spitzname «Old Surehand» gegeben hatte, der regelmässig Leserbriefe schrieb oder ein anderer Leser eine eigene Winnetou-Geschichte namens "der grosse Winnetou" darin veröffentlicht hatte).

Und im August 2020 kam es dann heraus: Das Magazin Nr. 161 mit einem vierseitigen Bericht mit der Überschrift «Der Waldschwarze und der kleine Nazi - unbekannte May-Abdrucke entdeckt».

Ausgabe Nr. 161 des Karl May Magazins

Darin finden sich unter anderem ein sehr scharf geziechnetes Portrait von Bolo, der Kinderbeilage und deren etwas "brisantem Namen", dem Illustrator René Gilsi, von dem wir bisher kaum etwas wussten, sowie natürlich dessen tollen Waldschwarzen-Illustrationen im Glaine Nazi, von denen die Karl-May-Community bisher scheinbar keine Kenntnis gehabt hatte.

Der «Waldschwarze» kurz erklärt

Der Waldschwarze, auch genannt Waldkönig, handelt von einem Mann, der erfährt, dass der "Waldkönig", Anführer einer Schmugglerbande, seinen älteren Bruder tötete und den Vater durch einen Schuss absichtlich blendete. Er beschliesst, den Bauernhof des Vaters zu übernehmen und nebenbei den Waldkönig zu fangen, der sich am Ende (Spoiler alert!) als ein reicher Feldbauer herausstellt, der seinen Vater schon immer mit Hass verfolgte.

Et voilà - der Artikel im besagten Band Nr. 161 / Aug 2020

Karl May & Co 161 3_20 - Der Waldschwarze und der kleine Nazi_compressedDownload in voller Auflösung ⭳

screenshot from 2025 11 06 22 19 45Wir danken Herrn Schmatz für das Interesse und den sorgfältig ausgearbeiteten Bericht, der uns ebenfalls ein klein wenig mehr Licht ins Dunkel des ganzen Kosmos aus Abenteurautoren, Kinderbeilagenverfassern und Illustrationskünstlern zu bringen vermochte.

Denn genau so liebe Leute ... muss Internet. Eine/r ist eingach mal neugierig, nimmt die Fährte auf, fragt jemand anderen und dann gerät der Stein ins Rollen ... und plötzlich entsehen aus kleinen Fragmenten kohärente Geschichten und mit etwas Glück sogar befriedigende Erklärungen (die oftmals in noch mehr Fragen resultieren können).

Also seid fleissig und veröffentlicht nischige Dinge, denn irgendwo am anderen Ende der Leitung könnte ein passionierter Sammler schon sehnsüchtig darauf warten.


PS: Aufmerksamen Leser/innen mag eine winzig kleine Verzögerung hinsichtlich des Erscheinungsdatums dieses Berichts nicht entgangen sein. Dies hat ... Gründe. Ob sie nun technischer (E-Mails im Spamfolder), organisatorischer (fire-and-forget) oder mentaler (ah, ich wollte ja eigentlich noch ... oh, ein Vogel!) oder einfach nur zufälliger (die erste Zustellung der Print-Ausgabe 161 landete aus unerklärlichen Gründen im Altpapier) Natur waren ... ich war jedenfalls 5 (!) Jahre lang daran gehindert worden, diesen Bericht zu schreiben. Bis genau jetzt. So, raus. Feddich.

 

 

 

 

Kommentar schreiben

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert